Profilierte Kirchenorte und -formen

Orbit

Ein Projekt in Kooperation mit der Ref. Kirche Winterthur Stadt

Roland, Mitgründer, erzählt im November 2020:

Was ist Orbit?

„Orbit“ ist zunächst eine Bürogemeinschaft im ehemaligen Sulzerareal in Winterthur. In der Bürogemeinschaft arbeiten kleine Firmen, Kreative und Freischaffende für Kunden und Projekte. Gegründet wurde sie von Melanie (Szenografin), Monika (Theologin) und mir, einem Grafik Designer, in Kooperation mit der Ref. Kirche Winterthur Stadt.

Das Gründungsteam des Orbit

Es ist kein typischer Co-Working Space: Die Flächen werden fix vermietet. Wir dürfen sie jedoch ein- bis zweimal im Monat für Anlässe räumen und mitnutzen. Im Büro hat es Platz für etwa acht Mieter*innen. Die Aufnahmekriterien sind wir gerade am Entwickeln. Im Tun merken wir am besten, was wichtig ist. Klar ist, dass die Personen menschlich zu uns passen sollten – und wir freuen uns besonders über Kreativschaffende. Diese sind eher in kirchenfernen Lebensmilieus daheim. Gerade, weil sie sich selten im Kirchenkontext bewegen, erhoffen wir uns von ihnen wertvolle neue Perspektiven. Wir sind angewiesen auf unkonventionelle Erneuerungsideen.

„Orbit“ ist darüber hinaus mehr: Zusammen mit anderen Menschen – der Bürogemeinschaft, Nachbarn, Freunden, Bekannten, Interessierten – wollen wir herausfinden, wie Arbeit, Kultur, Freizeit und Spiritualität im Alltag ineinandergreifen können. Entsprechend gestalten wir unsere Arbeit, unsere Pausen und unsere Gemeinschaft und organisieren die öffentlichen Formate zusammen mit Kooperationspartner*innen.

Dazu laden wir in den Orbit ein: Monatlich auf ein Feierabendbier, unregelmässig zu kreativen Workshops oder zu Diskussionsrunden. Einige von uns treffen sich zudem zur meditativen Atempause nach dem Mittag oder zu einem wöchentlichen liturgischen Miteinander an einem Abend. Per Zeitungsartikel, Newsletter, Flyer und per Mund-zu-Mund-Propaganda machen wir auf unsere öffentlichen Anlässe aufmerksam. Auch unser Schaufenster nutzen wir zur Kommunikation.

Uns ist wichtig, dass wir mit Menschen arbeiten, die wir kennen oder die einen Bezug zum Ort haben. Denn wir haben gemerkt: Sie sind am ehesten bereit, sich zu engagieren. – Soviel zum heutigen Stand. Morgen haben wir wohl wieder neue Ideen.

Projekte (Beispiele)

Eins zu eins Gespräche

Während des Lockdowns im Frühjahr 2020 bot Orbit über fünf Tage hinweg in seinem Vorgarten Platz und 12 spannende Gesprächspartner*innen aus dem Quartier an. Insgesamt 23 Termine standen zur Auswahl. Wer mochte, konnte ein persönliches Gespräch via Internet buchen. – Hier ein Interview dazu mit Monika.

Modelle bauen …

… für eine bessere Welt

Zweimal vor Ort, einmal im Lockdown in „Heimarbeit“ wurden bisher Fragen zur Gestaltung des privaten und öffentlichen Lebensraums und Zusammenlebens praktisch angegangen: mit Heissleim, Schere, Karton und Bastelmaterial wurde eine bessere Welt gebaut.

Atempause am Mittag

An den Werktagen machen die, die wollen, eine gemeinsame viertelstündige Pause, mit einer Kurz-Liturgie, formuliert in einer Sprache, die Christ*innen und Menschen ohne christlichen Hintergrund anspricht. Die Liturgie umfasst im Moment Lese-Teile, Schweigen, Klang-Elemente und einen jeweils wechselnden Mittelteil. Diese Art des Innehaltens wird weiterentwickelt.

Wie entstand Orbit?

Im Jahr 2010 erstellte Monika zu Handen der damaligen Kirchenpflege der Ref. Kirche Winterthur Stadt eine Studie, wie im Quartier mit seinen spezifischen Milieus kirchliches Leben gestärkt werden könnte. Zunächst blieb diese Studie in der Schublade. Bis vor etwa zwei Jahren die Kirchenpflege Monika damit beauftragte, im Sinne der Studie etwas Neues auszuprobieren. Mit dem Auftrag waren Ressourcen für Stellen und Sachmittel verbunden – er wurde aber inhaltlich bewusst vage gehalten, so dass Monika viel Spielraum hatte.

Monika wollte die Aufgabe in einem Team angehen und kam auf Melanie und mich zu. Wir arbeiten beide viel im Kulturbereich. Mit meinem Grafikbüro war ich seit 2011 im Sulzerareal ansässig. Monika und ich kannten uns beruflich von einem früheren Buchprojekt. Monika wusste zudem, dass Melanie und ich uns schon länger eine andere, alltäglichere Gemeinschaftsform wünschten, die uns näher liegt als die uns bekannten Formen von Kirche. So fügte sich vieles zusammen.

Das Orbit von innen (Bild: Nadine Kägi / Lokstadt)

Zielgruppe

Unser primäres Publikum sind Menschen mit einem Bezug zum Sulzerareal, schwerpunktmässig im Alter zwischen 25 und 55. Kreative, Kulturschaffende, Intellektuelle, d.h. Milieus, für die Selbstbildung, Selbstbestimmung, Selbstentfaltung, Selbstverantwortung und Eigeninitiative grundlegend sind. Diese Menschen interessieren sich für gemeinschaftliche Strukturen und Beziehungsmuster mit flacheren Hierarchien und Partizipationsmöglichkeiten. Ausserdem wählen wir eine visuelle, inhaltliche und musikalische Sprache, wie sie einige von uns aus dem Kulturbereich kennen und gebrauchen.

Unsere Angebote haben in unterschiedlicher Stärke christliche bzw. kirchliche Bezüge. Beispielsweise bei dem Format „Eins zu eins“ agieren wir als Gastgebende persönlich zwar aus einem christlichen Motiv heraus. Aber wir überlassen es den Gesprächsteilnehmenden, auf welche Themen sie zu sprechen kommen. Die „Atempause“ ist mit liturgischen Elementen gestaltet. Das wöchentliche liturgische Miteinander ist klar und explizit christlich geprägt.

 

Auftrag

Wir als Projektteam möchten mit anderen zusammen herausfinden, wie wenig es braucht, um Kirche zu sein. Wir überprüfen, woran wir selbst glauben und ob das im Alltag funktioniert. Wir wollen Andersdenkende verstehen lernen und möchten erkunden, wo wir gemeinsame Bedürfnisse haben. Uns interessiert auch, ob Menschen sich dem Glauben in dieser Umgebung anders nähern können, und was das wiederum uns als einzelnen Glaubenden und als Team mit kirchlichem Auftrag für neue Perspektiven bringt. Diesen Auftrag als Experimentierraum oder Labor für die Kommunikation mit Menschen zu wirken, die sonst kaum im kirchlichen Leben anzutreffen sind, ist einerseits aus dem persönlichen Interesse der Teammitglieder gewachsen, andererseits haben wir ihn von der Kirchenpflege erhalten.

Unser Zwischenfazit: Es braucht je nach Milieu eine andere Art von Kirche. Für unsere Zielgruppe tritt die gewichtige Institution und Tradition der reformierten Kirche ziemlich in den Hintergrund. Trotzdem profitieren wir sehr von dieser Institution in Form der Kooperation mit der Ref. Kirche Winterthur Stadt.

Werte

Andersdenkende, kritische Geister versuchen wir zu verstehen und wertzuschätzen. Im Bewusstsein, dass auch wir selbst keine homogene Gemeinschaft sind und sein wollen. Und mit dem Gedanken, dass sich manche Aspekte des Glaubens erst anhand von Fragen, von Reibung mit anderen Ansichten schärfen. Gleichzeitig möchten wir zu unseren persönlichen Überzeugungen insbesondere unserem Glauben stehen.

Wie wir im Alltag diese Werte leben (wollen), müssen wir mitunter gemeinsam herausfinden. So beschäftigt uns z.B. die Frage, wie hierarchisch oder partizipativ wir unsere Arbeit und Rollen gestalten wollen.

Vision

Wir wollen persönliche Begegnungen auf Augenhöhe ermöglichen zwischen Menschen, die sich sonst nicht begegnen würden. Wichtig ist uns auch, dass wir mit unseren Projekten den Sozialraum mitgestalten und Menschen ebenfalls dazu anregen. Dabei ist uns die Grösse eines Projekts nicht wichtig.

Zahlen und Fakten (November 2020)

  • Trägerschaft: Reformierte Kirche Winterthur Stadt und Kanton Zürich
  • Verantwortung für Strategie: Monika Wilhelm, Melanie Mock, Roland Krauer und Kirchenpflege Winterthur Stadt
  • Verantwortung für operative Umsetzung: Monika Wilhelm, Melanie Mock, Roland Krauer
  • Einbindung in die Kirchenstruktur: Orbit ist der Reformierte Kirche Winterthur Stadt angegliedert, bei den wichtigsten Austauschgefässen ist jemand von uns dabei.
  • Anzahl Angestellte: 2 x 20% (Diakone), 1 x 30% (Pfarrerin), jedoch arbeiten wir mehr als diese vorgesehenen Stellenprozente. – Derzeit ist es institutionell nicht möglich, dass wir, die wir uns als gleichberechtigtes Team auf Augenhöhe verstehen, auch den gleichen Lohn erhalten. So haben wir teamintern dafür eine andere Lösung gefunden.
  • Anzahl Freiwillige: Wir fragen je nach Projekt immer wieder andere Menschen an. Einige Personen aus der Bürogemeinschaft sind regelmässig in Projekten involviert. Die Bürogemeinschaft umfasst im Moment neun Personen.
  • Jahresbudget: CHF 90’000.– (vor allem Lohnkosten)
  • Finanzierungsstrategie: Unsere Löhne werden vom Kirchenbudget bezahlt, die Miete wird gemeinsam von der Bürogemeinschaft getragen.

Tipps für Kirchgemeinden

  • Fragt Leute an, die mit Gott was anfangen können, deren Lebenswelt euch aber fremd ist, und lasst diese Leute Kirche für andere machen, als die, die schon da sind. Also eigentlich für sie selbst. Wenn ihr keine solche Leute kennt, macht euch auf die Suche.
  • Ein weiterer Schlüsselfaktor ist wohlwollendes Vertrauen und grosszügiger Spielraum der Kirchenpflege gegenüber einem solchen Projekt. In unserem Fall geniessen wir seitens der Kirchenpflege beides im grossen Mass. Das motiviert enorm und fördert die Selbstverantwortung. 

Kontakt

Orbit
Emil-Krebs-Gasse 10
8400 Winterthur
Tel: 078 884 26 30
Email: hallo@orbit.win
Webseite: https://orbit.win/

Wir leben und arbeiten gewissermassen verschachtelt: Im Tössfeldquartier in Winterthur befindet sich das Sulzerareal. Es ist wiederum in mehrere Quartiere unterteilt, eines davon heisst „Lokstadt“. Die Gebäude sind nach verschiedenen Lokomotiven benannt. So gibt es eins, das „Krokodil“ heisst. EinViertel dieses Hauses gehört der gesewo-Genossenschaft, welche ihren Mieter*innen eine Selbstverwaltung ermöglicht. Hier sind wir eingezogen.