Profilierte Kirchenorte und -formen

Raum + Stille

Januar 2021, Pfrn. Dr. Christine Forster, Co-Leiterin Raum+Stille, berichtet:

Story

Im Glatt, dem laut eigenen Aussagen „umsatzstärksten und beliebtesten Einkaufszentrum der Schweiz“, findet sich an zentraler Lage unser ökumenisches Angebot Raum + Stille. Wir sind ein stiller Ort inmitten des Trubels, in der Nähe des Geldautomaten, der WC-Anlagen und der Stillzimmer, mit denen wir manchmal verwechselt werden.

Die Besuchenden treten in einen Raum mit Tageslicht und vier bequemen Stühlen ein. Sie finden dort auch eine „Kerzenburg“ mit Teelichtern, ein Anliegenbuch zum Hineinschreiben, eine Gebetsmauer mit Öffnungen für zusammengerollte Zettel sowie Bücher zum Anschauen. Den Raum können sie zum Ausruhen, zur Meditation, zum Gebet, zum Warten oder für eine zwischenmenschliche Begegnung nutzen. Neben diesem Raum liegt ein zweiter, der sich für Gespräche und für Bürotätigkeiten eignet. Die Türen sind meistens geöffnet, wenn nicht gerade ein Gespräch geführt wird. Die Räume an sich sind das Angebot. Seit 2016 gibt es sie, seit 2017 prominent gelegen.

Viele Besuchende rechnen im eher lauten Einkaufszentrum nicht mit uns, sind neugierig und kommen herein – ganz niederschwellig. Wenn wir geöffnet haben, kann jede und jeder eintreten. Das zeigen auch die Symbole der fünf Weltreligionen, die aussen angebracht sind. Ein sechstes Feld wurde freigelassen für die eigene Interpretation: Es steht z. B. für Menschen anderer Glaubensrichtungen oder für solche auf der Suche. Manche, die die Räumlichkeiten bereits kennen, kommen gezielt, beten und gehen, oft mit einem kurzen Gruss oder Dankeschön, wieder heraus.

Eintritt in den ersten Raum

Entstehung

„Raum + Stille“ wurde im Jahr 2016 vom Gemeindepfarrer Adrian Berger, ref. Kirche Wallisellen, initiiert, der früher als Student im Glattzentrum jobbte. Auch die relative Nähe zum Flughafen und der dortigen Kirche wirkten inspirierend. Das Angebot aufgebaut haben Pfarrer Matthias Jost, ref. Seelsorger, und Mirjam Duff, kath. Seelsorgerin. Seit 1. Juli 2020 sind mein katholischer Kollege Pfr. Dr. Johannes M. Oravecz und ich hier tätig.

Von Beginn an war dies ein Angebot, das zugleich ökumenisch, kirchgemeindeübergreifend und in Kooperation mit dem Einkaufszentrum getragen wird: Das Einkaufszentrum stellt die Räume kostenlos zur Verfügung und unterstützt z.B. beim Corona-Schutzkonzept. Die Co-Leitung besteht aus zwei Pfarrpersonen (je 50 %), je eine seitens der reformierten und der katholischen Kirche. Sie wird von den Kirchgemeinden in Wallisellen und der Landeskirche des Kantons Zürichs finanziert sowie von einigen benachbarten Kirchgemeinden der Agglomeration Zürich finanziell unterstützt.

Auftrag

Wir verstehen unser Angebot als eine niederschwellige Art, um miteinander ins Gespräch zu kommen. Es ist eine Begegnungsstätte, ein Rückzugsraum, es kann ein Kontaktpunkt für Kirchenferne sein. Und wir bieten für die, die es wollen, Seelsorge an. Zudem ist uns der ökumenische und interreligiöse Dialog ein Anliegen.

Zielgruppen

In erster Linie ist Raum + Stille für die Passanten und die Angestellten des Einkaufszentrums Glatt gedacht. Um darauf aufmerksam zu machen, nehmen wir regelmässig Kontakt mit den Filialleitenden auf. Attraktiv ist, dass wir ein ruhiger Ort mit Tageslicht sind. So kommen einige für ihre Mittagspause zu uns. Wir haben auch viele muslimische Gäste, die ihre Gebete sprechen.

Im Jahr 2019 zählten wir rund 4800 Besucher, etwa 16 pro Tag. Daraus ergaben sich etwa 1000 kurze Gespräche, Small Talks oder Auskünfte. Eigentliche Seelsorgegespräche wurden 133 geführt. Wir erachten jeden Kontakt als eine Chance für mindestens eine kurze positive Begegnung.

Bücher und «Klagemauer» im ersten Raum

Wenn jemand später Gesprächsbedarf hat, erinnert sich die Person vielleicht an uns. Corona-bedingt war Raum + Stille während des Shutdowns im Frühling 2020 sowie nun, Anfang 2021, geschlossen.

In zweiter Linie freut es uns, wenn sich Personen aus den umliegenden Kirchgemeinden für uns interessieren. So finden regelmässig Führungen für Schulklassen, initiiert von Jugendarbeiter*innen oder Religionslehrer*innen statt. Unsere rund zwanzig Freiwilligen stammen zu einem grossen Teil auch aus der Region.

Werte

Wir pflegen eine respektvolle Begegnungskultur, sind offen und tolerant und kommen in Dialog mit anderen – ungeachtet ihrer Religionszugehörigkeit. Unseren christlichen Glauben verstecken wir nicht. So haben wir z.B. im Dezember im Fenster des Gesprächsraums eine Krippe aufgestellt. Aber wir drängen unseren Glauben niemandem auf.

Raum + Stille kann dank etwa zwanzig Freiwilligen, in der Mehrzahl Menschen im Pensionsalter, so bestehen. Da wir interreligiös arbeiten, wünschen wir uns dahingehend eine offene Haltung der Freiwilligen. Durch ein sorgfältiges Aufnahmeverfahren, ein Leitkonzept und drei Team-Treffen im Jahr thematisieren wir diese und andere gemeinsame Werte immer wieder. Über die Team-Treffen hinaus bestehen auch individuell weitere Kontakte. Besondere Vorkommnisse werden im Team-Logbuch im Büro notiert.

Anliegenbuch für Gebete, Dank, Klagen und Bitten

Vision: Wo stehen wir in drei Jahren?

Raum + Stille ist noch besser bekannt bei den Angestellten der Geschäfte des Glattzentrums sowie in den umliegenden Kirchgemeinden – katholisch wie reformiert – und noch besser eingebunden: Sei es, dass die Co-Leitenden ab und zu Gottesdienste in diesen Gemeinden gestalten. Oder dass in Raum + Stille auf Angebote der örtlichen Kirchgemeinden aufmerksam gemacht wird. 

Raum + Stille ist in Kontakt mit den Leitungspersonen der muslimischen Gemeinden rund um das Einkaufszentrum. Das stärkt den interreligiösen Dialog und die Sensibilität im Umgang miteinander.

Tipps für andere Kirchgemeinden

  • Ein ähnliches Angebot scheint mir nur Sinn zu machen, wenn der Kontext – z.B. ein Einkaufszentrum – vergleichbar ist.
  • Der physische Standort ist sehr wichtig. Nachdem im Jahr 2017 ein Umzug in das Obergeschoss stattgefunden hatte, wurden weit mehr Personen erreicht.
  • Uns bereichert es, dass wir ökumenisch und von mehreren Kirchgemeinden getragen sind. Prüfen Sie doch bei Ihren Vorhaben, ob Ähnliches auch für Sie Vorteile hat.
  • Wir limitieren und zugleich fokussieren wir uns. Raum + Stille an sich ist bereits das Angebot. Darüber hinaus bieten wir keine Aktivitäten vor Ort an (können aber auf Angebote der Kirchgemeinden hinweisen). Auch diese Begrenztheit als Kontrast zur Vielfalt in der Shoppingwelt macht uns attraktiv. So mögen Sie vielleicht überlegen: Wenn weniger mehr ist – was könnten Sie weglassen?

Daten und Fakten

  • Trägerschaft und Finanzierung: Einkaufszentrum Glatt, ref. Kirche und kath. Pfarrei Wallisellen, ref. Landeskirche Kt. Zürich sowie umliegende Kirchgemeinden (reformierterseits: Opfikon, Dübendorf-Schwerzenbach, Kloten, Stadt Zürich; katholischerseits: Opfikon, Dübendorf, Kloten).
  • Einbindung in die Kirchenstruktur: Relativ autonom, nicht stark eingebunden
  • Verantwortung für Strategie: Co-Leitende und ökumenisch zusammengesetzte Begleitkommission
  • Verantwortung für operative Umsetzung: Co-Leitende
  • Angestellte: Keine
  • Anzahl engagierter Freiwillige: 20
  • Jahresbudget: CHF 18.000.-

(Stand: Januar 2021)

Kontakt

Pfrn. Dr. Christine Forster
Co-Leiterin Raum+Stille
Einkaufszentrum Glatt
Neue Winterthurerstr. 99
8304 Wallisellen

E-Mail: christine.forster@raumundstille.ch

www.raumundstille.ch