Zürcher Reformprozess

Anstoss zum Reformprozess gab 2012 ein synodales Postulat von Kurt Stäheli, Marthalen. Dieses fragte nach der Stärkung kleiner Kirchgemeinden durch die gezielte Förderung der übergemeindlichen Zusammenarbeit. In seiner Antwort brachte der Kirchenrat eine alternative Möglichkeit der Stärkung von Kirchgemeinden ins Spiel, nämlich deren Zusammenschluss zu grösseren Kirchgemeinden. Denn grösseren Kirchgemeinden würde es besser gelingen, ein vielfältiges und vielgestaltiges Gemeindeleben zu entwickeln. So war die Strukturreform von Beginn weg als inhaltlicher Reformprozess konzipiert.

Der Zürcher Weg der Kirchenentwicklung kurz erläutert

Der Anstoss

Kurt Stäheli aus dem Weinland reichte in 2012 ein synodales Postulat ein: Ausgehend von der Beobachtung, dass in der heutigen Zeit vor allem kleine Kirchgemeinden an ihre Belastungs- und Entwicklungsgrenzen stossen, fragte er nach entlastenden organisatorischen Möglichkeiten übergemeindlichen Zusammenwirkens.

Der Kirchenrat antwortete grundsätzlicher: «Die Grösse einer Kirchgemeinde wird dadurch bestimmt, dass sie in der Lage ist, Raum für ein reiches und attraktives Gemeindeleben zu bieten. Das Pfarramt und der weitere Stab der Mitarbeitenden verfügen deshalb über entsprechend vielfältige, sich ergänzende Kompetenzen.»

Der Kirchenrat verknüpfte damit die Überzeugung: «Leitziel aller Massnahmen muss sein, in ermutigender Weise Freiräume für zukunftsgerichtete Projekte zu eröffnen und die Zuversicht unter den Verantwortlichen, den Behörden sowie den beruflich und freiwillig Mitarbeitenden zu stärken.»

Daraus entstand der Reformprozess als Anstoss zur Veränderung, die weit mehr sein soll als rein organisatorischer Natur.

Ziele des Prozesses

Ekklesiologisches: Kirchenratspräsident Michel Müller zu Ekklesiologische Überlegungen (pdf) bezüglich des Reformprozesses.

Zielbild: Kirchenrat Daniel Reuter formulierte das inhaltliche Zielbild (PDF) anlässlich der Kirchensynode vom 10. Januar 2017. Das Folgende gibt einen Überblick:

Warum machen wir das?

Wie machen wir das?

Gestaltungsprinzipien

Prinzip Selbstorganisation

Der Reformprozess wird zwar von der Kirchensynode und vom Kirchenrat verantwortet und gesteuert, geschieht aber letztlich in gemeindlicher und regionaler Selbstorganisation. Das bedeutet: Kirchgemeinden erhalten Rahmenbedingungen, innerhalb derer sie im Dialog miteinander unterschiedliche Phasen durchschreiten. Die Agenda entsteht durch die Beteiligten.

 

Projektorganisation der Gesamtkirchlichen Dienste

Projektorganisation, Stand: 16.02.2021

Glossar: Häufig gebrauchte Begriffe

Der Reformprozess KirchGemeindePlus ist ein «Zürcher Weg», die Antwort des Kirchenrats, ausgelöst und getragen von Vorstössen in der Kirchensynode, auf aktuelle und zukünftige Herausforderungen für die Kirche, und unter Berücksichtung der Besonderheiten im Kanton Zürich. Dieses Glossar erläutert die häufig gebrauchten Begriffe.

Michel Müller beschreibt den «Zürcher Weg» kurz und prägnant in Unterscheidung zu den Wegen, die Basel-Stadt und Bern-Jura-Solothurn gehen, in der Schweizerische Kirchenzeitung, Ausgabe 1 2019 (PDF).

Der Dritte Weg des Reformprozesses KirchGemeindePlus bedeutet, dass die Kirche der Zukunft sowohl Dienstleistungskirche als auch Beteiligungskirche sein wird. Professionelle Dienstleistungen und Beteiligung aller Mitglieder sind sich ergänzende Strategien. Dabei bedeutet Beteiligung mehr als freiwillige Mitarbeit in der Kirchgemeinde. Vielmehr werden Menschen motiviert und unterstützt, ihre Ideen und Visionen von Kirche und kirchlichem Leben entwickeln und gestalten zu können. Aus dieser Beteiligungskultur entstehen grössere Vielfalt, stärkere Verbundenheit mit der Kirche und neue Gemeinschaften und Projekte.

Der Dritte Weg bezeichnet die Kombination von institutioneller Dienstleistungskirche mit verschiedenen Formen von Beteiligungskirche. In einer Zeit abnehmender Mitgliederzahlen könnte sich die Kirche für eine der beiden Strategien entscheiden: Fokussierung auf die professionelle und institutionelle Dienstleistungskirche oder Fokussierung auf die Beteiligungskirche. Der Dritte Weg im Reformprozess KirchGemeindePlus versteht die beiden Ansätze als Ergänzung. Die Kirchgemeinden übernehmen weiterhin die Verantwortung für den kirchlichen Auftrag und ihre Dienstleistungen als Volkskirche, in Offenheit gegenüber allen Menschen der Gesellschaft. Gleichzeitig werden vermehrt auch Möglichkeiten für Beteiligung geschaffen, sei es in traditionellen Kirchenorten oder in neuen Formen von Kirche. Diese Kombination ermöglicht eine kirchliche Vielfalt, auch Mixed Economy genannt. 

Der Begriff Fresh Expressions of Church stammt ursprünglich aus der anglikanischen Kirche in England. Er hat sich in den letzten Jahren auch in der Schweiz etabliert. Mit Fresh Expressions sind neue Kirchenformen gemeint, die sich an Zielgruppen  wenden, die keinen Bezug zur Kirche haben. Durch diese Initiativen soll das Evangelium in unterschiedlichen Lebensräumen oder Lebenswelten neu (fresh) kommuniziert werden. Diese neuen Kirchenformen verstehen sich als Ergänzung zu den traditionellen, territorialen Kirchenorten. Fresh Expressions  haben folgende vier Merkmale:

  1. missional – Ausrichtung auf Menschen, welche keinen Bezug zur Kirche haben
  2. kontextuell – Geprägt von der Kultur, den Fragen und den Bedürfnissen der Zielgruppe
  3. transformierend – Menschen erleben die verändernde Kraft Gottes, werden darin begleitet und setzen sich wiederum für die Kirche und Gesellschaft ein
  4. ekklesial – sie bilden Kirche, sind nicht nur ein kirchliches Projekt

Im Reformprozess KirchGemeindePlus werden solche neue Kirchenformen gefördert. Sie tragen dazu bei, dass die Kirche den Menschen unterschiedlichster Lebenswelten nahe sein kann und darum eine Vielfalt an kirchlichen Formen entstehen kann.

Die Zürcher Landeskirche ist beteiligt am ökumenischen Netzwerk www.freshexpressions.ch und fördert reformierte Fresh Expressions of Church im Kanton Zürich. Dazu ein Artikel in der Mitarbeitenden-Zeitschrift Notabene).  Zu «Fresh Expressions» siehe auch ein Grundsatzpapier von Thomas Schaufelberger aus dem Jahr 2014.

Kirchliche Orte sind die Basiseinheiten kirchlichen Lebens in der Kirchgemeinde. Am kirchlichen Ort wird Kirche erfahrbar, wie es in Artikel 1 der Kirchenordnung beschrieben wird:

  1. Kirche ist überall, wo Gottes Wort aufgrund der Heiligen Kirche Schrift Alten und Neuen Testamentes verkündigt und gehört wird.
  2. Kirche ist überall, wo Menschen Gott als den Schöpfer anerkennen, wo sie Jesus Christus als das Haupt der Gemeinde und als den Herrn und Versöhner der Welt bekennen und wo Menschen durch den Heiligen Geist zum Glauben gerufen und so zu lebendiger Gemeinschaft verbunden werden.
  3. Kirche ist überall, wo Menschen durch Glaube, Hoffnung und Liebe das Reich Gottes in Wort und Tat bezeugen.

In Zusammenschluss-Kirchgemeinden und Zusammenarbeits-Regionen entsteht ein polyzentrisches Netzwerk von unterschiedlichen Kirchenorten. Im Reformprozess KirchGemeindePlus wird bewusst eine Vielfalt von unterschiedlichen kirchlichen Orten und Formen angestrebt. Neben traditionellen Kirchenorten entstehen so neue, ergänzende Kirchenformen nach lebensweltlichen Gesichtspunkten. Die Kirchgemeinden übernehmen so die Verantwortung für den Auftrag als Volkskirche, in Offenheit und Nähe zu allen Menschen und Lebenswelten der Gesellschaft.

Kirchen haben in ihrem Auftrag eine doppelte Orientierung auf den Lebensraum und auf die Lebenswelten der Menschen (vgl. hierzu die Sinus-Milieus als Sehhilfe für verschiedene Lebenswelten:  Kurzfassung der Studie zu Lebenswelten, publiziert im notabene 10 /2011). Die meisten traditionellen Kirchen haben primär einen lebensräumlichen Fokus. Sie orientieren sich an ihrem Sozialraum, der Region, Stadt, Dorf oder Quartier. In der Regel erreichen sie jedoch nicht alle Lebenswelten in ihrem kirchlichen Wirkraum. Darum werden im Reformprozess KirchGemeindePlus neben den bestehenden Kirchenorten auch neue Kirchenformen gefördert, die sich auf spezifische Lebenswelten fokussieren.

Viele Kirchen machen die Erfahrung, dass sie mit ihren Aktivitäten und Angeboten nicht alle Bevölkerungsgruppen oder Lebenswelten ansprechen können. Die kirchliche Studie zu den Lebenswelten (vgl. hierzu die Sinus-Milieus als Sehhilfe für verschiedene Lebenswelten:  Kurzfassung der Studie zu Lebenswelten, publiziert im notabene 10 /2011) zeigt, dass die Kirche in der Regel nur zwei von zehn Lebenswelten anspricht. Durch die grösser werdenden Kirchgemeinden und Zusammenarbeitsregionen entstehen vermehrt Möglichkeiten, dass neue Kirchenformen  mit einem besonderen Fokus auf eine nicht erreichte Zielgruppe initiiert werden können. Die Kirche wird damit noch vielfältiger in ihren Ausdrucksformen und Lebenswelt-Orientierung.

Durch den Dritten Weg des Reformprozesses KirchGemeindePlus wird eine kirchliche Mixed Economy gefördert. Mixed Economy bedeutet, dass eine Vielfalt an unterschiedlichen kirchlichen Formen und Orte entsteht. Neben den traditionellen Kirchenorten werden neue Kirchenformen gefördert, neben lebensräumlich orientierten Kirchenorten werden lebensweltlich-orientierte Kirchenformen entwickelt. Die unterschiedlichen Kirchenformen verstehen sich dabei als Ergänzung und nicht als Konkurrenz. Das Ziel dabei ist, dass möglichst viele Lebenswelten und Menschen angesprochen werden können und der Auftrag als Volkskirche in Offenheit gegenüber allen Menschen der Gesellschaft wahrgenommen wird.  Der Begriff Mixed Economy stammt ursprünglich aus der anglikanischen Kirche in England. Mit dem Reformprozess KirchGemeindePlus wird die Entwicklung  der kirchlichen Vielfalt auch in der Zürcher Landeskirche umgesetzt.

Partizipation – lat. Verb partcipare – zusammengesetzt aus pars (Teil) und capere (ergreifen, sich aneignen) = Beteiligung, Mitwirkung, Mitbestimmung von Einzelpersonen und Organisationen in Entscheidungsprozessen, welche diese direkt betreffen. Unterschieden wird zwischen verfassten, formellen Formen der Partizipation, wie z.B. politische Wahlen und freiwilligen, sozialen  Formen der Partizipation, wie z.B. Mitwirkungsverfahren bei der Gestaltung von öffentlichen Plätzen, Umnutzungen von Gebäuden, Entwicklung von neuen Angeboten usw.

Regionalisierung ist ein Prozess. Er ist seit Jahrzehnten im Gang, zum Beispiel durch spezielle Einrichtungen wie Krankenhäuser, Möbelhäuser, Geburtshäuser, Ärztehäuser… Die Bedeutung heutiger Gemeinden verändert sich; und sie sind nicht natürlichen Ursprungs, sondern haben sich gebildet durch politische Entscheidung. Damals war die Regionalisierung die Entwicklung vom Gehöft oder vom Weiler hin zur heutigen Gemeinde. Heute ist es die Entwicklung zur Region. Und es sind immer die Menschen, die es entwickeln, manchmal unter Druck, aber immer mit dem freien Willen, das zu Entwickelnde selbst zu gestalten.

Diversität ist in uralter Tatbestand: Die älteste ist die Biodiversität der Natur, älter als der Mensch. Die Vielgestaltigkeit der Schöpfung. Sie mag Monokulturen nicht. Sie liebt die vielen Versionen und schafft Vielfalt. Die Biodiversität der Natur nahe dem Äquator bezeugt es überwältigend. Sie bedeutet dort grössten Artenreichtum auf kleinster Fläche: Zweihundert Baumarten, wo bei uns drei oder vier vorkommen. Oder nur eine, wenn ein ökonomisches Forstprogramm es bestimmt. Regenwald und Plantage sind Gegensätze, die grösser nicht sein können. Dabei entsteht Biodiversität nicht auf fetten Böden, sondern auf mageren. Der Regenwald ist vierstöckig und hat nirgends gleiche Bedingungen. Ein Zusammenleben in unglaublicher Vielfalt ist entstanden.

Die Reformierte Kirche des Kantons Zürich ist eine Volkskirche. Sie leistet ihren Dienst in Offenheit gegenüber der ganzen Gesellschaft, ist den Menschen nah und spricht sie in ihrer Vielfalt an. Die Kirche sieht ihren Auftrag in folgenden vier Handlungsfeldern: 

  1. Die Verkündigung des Wortes Gottes in Liturgie, Predigt, Taufe und Abendmahl
  2. Die Zuwendung aufgrund des Wortes Gottes in Diakonie und Seelsorge
  3. Die Auseinandersetzung mit dem Wort Gottes in der Bildung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen
  4. Die Ausrichtung am Wort Gottes beim Aufbau der Gemeinde

(Kirchenordnung, Artikel 5)